Täglich lesen wir in der Zeitung neue Schreckensnachrichten von der zunehmende globalen Verwirrung und Zerstörung. Die Politiker*innen sind ratlos, ja es scheint, sie sind selber ein Teil des Problems? Eine Besserung ist nicht in Sicht.

In der Natur gibt es das Phänomen einer SELBSTREGULATION. Es wirkt innerhalb einer Spezies, aber auch zwischen unterschiedlichen Spezies und sogar zwischen Pflanzen und Tieren. Wenn eine Kleewiese durch zuviele Schafe überweidet wird, dann „wehrt“ sie sich sehr erfolgreich dadurch, dass sie eine Substanz produziert, welche wie eine hormonelle Empfängnisverhütung auf die Schafe wirkt: sie bringen keine oder weniger Lämmer zur Welt! Diese Selbstregulation macht es möglich, dass unterschiedliche Arten auf dieser Erde zusammen leben können.

Ist der Mensch die einzige Spezies, die nicht über eine derartige Selbstregulation verfügt. Oder hat er seine Intelligenz dazu benutzt, selber diese Selbstregulation auszuhebeln?

SELBST-DOMESTIKATION…

Der Mensch ist die einzige Spezies, die es geschafft hat, Angehörige der eigenen Spezies wie Haustiere zu benutzen: Alle so genannten Hochkulturen hatten Sklaven oder Leibeigene, ja das scheint sogar die Voraussetzung für eine Hochkultur zu sein! Das Benutzen von Sklaven und Leibeigenen verhalf den wenigen Herren zu einem unglaublichen Machtzuwachs. So konnten sie die eigene Bevölkerung immer besser manipulieren. Sie waren anderen Kulturen, die noch im Einklang mit der Natur lebten, haushoch überlegen und konnten auch sie ausbeuten und versklaven.

…UND SELBST-ENTFREMDUNG

Sklaven und Leibeigene wurde durch Gewalt und durch gezielte Erziehung dazu gebracht, sich dem Willen der Herren zu unterwerfen, ihnen zu gehorchen und ihre eigenen Wünsche und Interessen zu unterdrücken. Sie entwickelten eine Herren-Knecht-Mentalität, das heisst, sie orientierten sich nicht mehr nach dem Eigenen, nach ihrem SELBST, sie waren ihrem Selbst entfremdet, lebten fremdbestimmt. Nutzniesser dieser Herren-Knecht-Mentalität, wie sie zum Beispiel mit der Leibeigenschaft verbunden war, war der Adel und – die Kirche. Ist das die Ursache dafür, dass die Doktrin der Kirche – nicht die Botschaft Jesu! – Selbstentäusserung und freiwillige Unterwerfung als Tugend lehrt und so eher eine Herren-Knecht Mentalität fördert, als Selbstbestimmung?

Diese, nennen wir es Selbst-Domestikation1, beinhaltete gleichzeitig einen Machtzuwachs für wenige und SELBST-ENTFREMDUNG und Verlust der SELBST-REGULATION für viele.

Trotz Aufklärung, trotz Revolutionen ist diese Herren-Knecht-Mentalität, diese Gehorsamsbereitschaft durch Selbst-Entfremdung auch heute noch sehr verbreitet. Die Botschaft der französischen Revolution „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ ist daher immer noch gültig.

Fatalerweise wurden die Anführer der Revolution, sobald sie an der Macht waren, selber zu Herren. Das zeigt: ihre Konditionierung zur Herren-Knecht-Mentalität war noch immer wirksam.

Das erleben wir auch heute: die Schröders und die Merkels tragen Sozialismus und Demokratie auf den Lippen, in Wirklichkeit aber vertreten sie die Interessen der „Herren“ von heute: die der Banken und der Großkonzerne. Frau Merkel holte sich in der Finanzkrise Herrn Ackermann als Berater – von dem wir wissen, dass er massgeblich an der Krise der Deutschen Bank beteiligt war. Sie vertritt das Motto: Demokratie muss marktgerecht sein. Und sie unterstützt Herrn Junker, der als luxemburgischer Finanzminister legale Steuerschlupflöcher für die Großkonzerne schuf, sodass der öffentlichen Hand Milliarden an Steuergeldern entzogen wurden.

Und die Mehrheit der Bevölkerung, befangen in einer anerzogenen – nicht selbstverschuldeten! – Unmündigkeit des Knechtes – will dies nicht sehen und schon gar nicht sich dagegen wehren – und schweigt.

Wir sehen in jeder Aufstellung, dass die fehlende Abgrenzung, und als Folge eine fatale Tendenz zuAbhängigkeit und „Gehorsam“ – und die damit verbundene Selbst-Entfremdung sehr verbreitet ist. Ist das auch die tiefere Ursache für die globale Selbst-Zerstörung?

Das SELBST

Wir können unser Selbst spüren, wenn wir durch tiefe Erfahrungen und Begegnungen „im Innersten“ berührt werden. Die Natur mit ihrer Schönheit, ihrer Grösse, ihrer unglaublichen Vielfalt und Ordnung lässt uns verwundern, erstaunen, macht uns andächtig und dankbar. Eine Blume, ein Vogel, eine Sternennacht, ein Morgen am Meer – oder in den Bergen, ein See, ein Wald. Es gibt Musik, ein Instrument, vielleicht eine Melodie, ein Rhythmus, die uns besonders bewegt und beglückt. Auch Menschen, die sich uns zeigen, wie sie sind, oder die uns sehen und achten wie wir sind, können uns tief berühren. Wir spüren in uns etwas, das berührt werden kann, durch etwas, das grösser ist als wir. Und gleichzeitig werden wir gewahr: das, was wir in uns etwas haben, das mit diesem Grösseren in Resonanz geht, ist mit diesem Grösseren verbunden, ist ein Teil des Grösseren. Das ist unser Wesenskern, unser Kern-Selbst.

Dies ist eine natürliche religiöse Grund-Erfahrung, und jeder kann eine solche Erfahrung machen, ohne die Vermittlung einer Institution.

RITUAL DER ACHTUNG

Um euer SELBST zu spüren schlage ich euch ein einfaches Ritual der Achtung vor.

Wir können, einzeln oder gemeinsam als Gruppe unsere Achtung ausdrücken, indem wir uns jeweils drei Atemzüge lang tief verneigen, vor dem Grösseren, von dem unser Selbst ein Teil ist: das Transzendente, der Kosmos, oder die Natur oder „Mutter Erde“, oder dem TAO. Verneigen auch vor dem Selbst des Gegenübers und schliesslich – vor dem Selbst in uns. Dadurch kann die Achtung wachsen, für den anderen und für uns. So spüren wir unser SELBST, diese innere Instanz, die sich verbunden fühlt mit dem grösseren Ganzen, und ihre Verantwortung kennt für das grössere Ganze, das uns hervorgebracht hat, das uns trägt und nährt. Dieser innere Kern unseres Selbst kann nicht verloren gehen. Je besser wir mit ihm verbunden sind, umso besser können wir selbstbestimmt und zugleich mit Verantwortung für unsere Erde leben.

SELBST-FINDUND DURCH AUFSTELLUNG

Durch die „systemische Selbst-Integration“, eine spezielle Form der Aufstellung kann uns bewusst werden, wie wir durch Konditionierung (Erziehung und frühe Erfahrungen von Verlust oder Gewalt) gelernt haben, unser Selbst zu unterdrücken, um uns besser anpassen, um besser gehorchen zu können. UND wir können wieder Verbindung mit unserem Selbst gewinnen, indem wir schrittweise diese Konditionierungen lösen.

1 Anders als Eugen Fischer (1914) bezeichne ich mit diesem Begriff das Phänomen, dass ein Mensch einen anderen Menschen wie ein Haustier z.B. ein Pferd zur Arbeit benutzt.