Diese Begriffe sind mehrdeutig. Das kann zu Missverständnissen führen – siehe Beitrag von Bernhard „Was gehört zur eigenen Identität?“ auf www.systemische-selbstintegration.de. Daher versuche ich hier eine Definition vom Standpunkt der SYSTEMISCHEN SELBST-INTEGRATION.

Der Begriff INTROJEKT wurde 1910 von dem ungarischen Psychoanalytiker Ferenczy geprägt. „Eine Einbeziehung eines geliebten Objektes in das eigene Ich nannte ich Introjektion.“ 1932 beschrieb er die Introjektion einer „Unlustquelle“ z.B. eines Täters bzw. eines Traumas, als wesentliches Moment einer Traumatisierung. Das ist eine Erklärung für unbewusste Selbst-Destruktion.

Die systemische Aufstellung kann man als „bildgebendes Verfahren“ bezeichnen, es macht buchstäblich sichtbar und damit bewusst, was wir alles in unserem „IDENTITÄTS-Raum“ haben und was eigentlich nicht zu uns gehört: verstorbene Angehörige, von denen wir uns nicht verabschieden konnten, fremde Überzeugungen – „Glaubenssätze“ – die wir übernommen haben, und traumatische Ereignisse aus unsere eigenen Biografie – aber auch aus unserem Familiensystem. Alle diese Elemente bezeichne ich als INTROJEKTE.

Wir identifizieren uns mit diesen Introjekten, sie bestimmen unser Identitätsgefühl, unsere Wahrnehmung, unser Verhalten – ohne dass uns das bewusst ist. Und sie hindern uns daran, mit dem verbunden zu sein, was wir eigentlich sind: mit unserem SELBST. Wir glauben, selbstbestimmt zu leben – und sind in Wirklichkeit fremdbestimmt.

Mit C.G. Jung unterscheide ich zwischen ICH und SELBST. Mit ICH bezeichne ich das, womit wir uns gerade identifizieren, unsere aktuelle IDENTITÄT – also einschliesslich der Introjekte. Als Individuation beschreibe ich mit Jung den lebenslangen Prozess der Annäherung an das eigene SELBST. Das Verfahren der SYSTEMISCHEN SELBST-INTEGRATION kann diesen Prozess beschleunigen durch die bewusste und gezielte Befreiung von Introjekten. Vereinfacht könnte man daher sagen: IDENTITÄT minus INTROJEKTE = SELBST.

In der Kindheit und Jugend (Prägephase) ist das eigene SELBST noch nicht differenziert. Das ist vielleicht auch ganz gut so, denn da sind wir abhängig von Eltern und Familie (Machtgefälle), und um mit ihnen auszukommen, passen wir uns an deren Ansichten und Erwartungen an. Wir identifizieren uns mit unseren Eltern, nehmen sie als Orientierung in unseren Raum als Introjekt. In der Pubertät, wenn wir erwachsen und damit den Eltern ebenbürtig werden, lernen wir zu unterscheiden zwischen Eigenem und Fremden. Dieser Prozess der Abgrenzung und Ablösung von den Eltern bedeutet auch Abschied von Introjekten. Das ist schmerzlich, aber notwendig für ein selbstbestimmtes Leben, für Autonomie.

INTROJEKTE sind also für die Zeit vor der Pubertät unentbehrlich und für die eigene Autonomie-Entwicklung unverzichtbar.

Bei der Abgrenzung gegenüber einem Introjekt wird oft eine starke gefühlsmässige Bindung an dies Introjekt deutlich. Daher fühlt sich die Abgrenzung gegenüber einem Introjekt oft schmerzlich an, bisweilen auch verboten oder wie Verrat.

Bezugsperson als Introjekt

Wenn die Eltern nicht präsent oder destruktiv sind, dann ist es manchmal eine andere Person, eine liebe Tante oder ein guter Großvater, die dem Kind vermittelt, dass es liebens-wert ist. Der Verlust einer derart wichtigen Bezugsperson vor der Pubertät – durch Trennung oder Tod – ist für das Kind und sein Selbst-Wert – Gefühl bedrohlich. Daher behält es meist diese Person unbewusst als Introjekt in seinem Raum, identifiziert sich mehr mit dieser Person – als mit seinem noch nicht entwickelten SELBST

Dieses Introjekt ist also zunächst fürs Überleben – in einer unfreundlichen Umgebung – wichtig. Aber durch den nicht vollzogenen Abschied von dieser Bezugsperson ist auch die Abgrenzung gegenüber anderen blockiert. Die Betroffenen sind daher mit ihrem erwachsenen SELBST meist nicht verbunden, wirken eigenartig „unerwachsen“. Wird ihnen das in einer Aufstellung bewusst, dann können sie sich entscheiden, diesen – schmerzlichen – Abschied zu vollziehen und dadurch erwachsen zu werden.

Glaubenssatz als Introjekt

Ein Beispiel: Der Glaubenssatz: „Ich bin nur etwas wert, wenn ich etwas leiste,“ ist sehr verbreitet. Er verhindert die Verbindung mit dem Selbstanteil, der sich wertvoll fühlt, unabhängig von Leistung. Dennoch ist das Abgrenzen dieses Glaubenssatzes oft schmerzlich. Es wird deutlich, dass dieser Glaubenssatz die Illusion von Sicherheit vermittelt hat. Und vielleicht hat er ja früheren Generationen das Überleben ermöglicht. Das muss geachtet werden.

Trauma als Introjekt

Häufig wird ein traumatisches Ereignis zum Introjekt. Auch hier fühlt sich die Abgrenzung gegenüber diesem Ereignis verboten an, so als gehöre es unverzichtbar zur eigenen Identität, oder als könne das Festhalten an diesem Trauma verhindern, dass es sich wiederholt (illusionäre Bewältigungsstrategie). Dabei bewirkt genau dies Festhalten des Traumas, dass es sich wiederholt!

Ero Langlotz München 30.4.2017