Symbiosemuster, Trauma und Unterbrochene Hinwendung

Anliegen

Herta, eine 30 Jahre alte Frau berichtet, dass sie eine tiefe Sehnsucht spürt, dass sie oft, kurz bevor sie in einer Beziehung beim anderen ankommt, selber den Kontakt abbricht. Dass sie z.B. auch eine Ausbildung abbricht, bevor sie abgeschlossen ist.

Diese Phänomene sind manchmal Ausdruck einer „Unterbrochenen Hinwendungsbewegng“ (Hellinger), wenn die Betroffenen als Kind eine Situation des Verlassenseins erlebt haben, wenn ihr Vertrauen in (meist) die Mutter dadurch erschüttert ist.

Das wirkt sich in typischer Weise auf ihr Kontaktverhalten aus: sie nähern sich zunächst sehnsuchtsvoll der Mutter, dann aber ziehen sie sich selbst aus dem Kontakt zurück, aus Angst, sonst ihrerseits wieder verlassen zu werden. Auch die Beziehung zu einem späteren Partner – oder zu einer Ausbildung – verläuft nach dem gleichen Muster. Auf diese Weise inszenieren sie selber das Trauma immer wieder neu. Sie kommen aus diesem Teufelskreis nur schwer heraus, da sie auf diese Weise keine andere, positive Beziehungserfahrung machen können.

Ausserdem hat sie eigenartige Zustände von ängstlichem Zittern, die sie selber nicht kontrollieren kann. Ein solcher Zustand tritt während des laufenden Seminars auf, als ein Teilnehmer davon berichtet, dass er als Kleinkind einige Monate in der Klinik sein musste, und anschliessend sie Eltern nicht mehr erkannt hat.

Herta äussert darauf ihren Wunsch, ihr Thema aufzustellen, der Therapeut bestätigt ihr, dass das ein wichtiges Thema ist und dass er es auf alle Fälle mit ihr anschauen wolle, aber dass es nicht sicher sei, ob das im laufenden Seminar möglich ist.

Herta ist darauf sehr enttäuscht. Am nächsten Tag erscheint sie gar nicht erst und wiederholt dadurch ihre Dynamik. Einer anwesenden Freundin gelingt es, sie zum Kommen zu überreden.

Vorgeschichte

Herta berichtet, dass sie im Alter von zwei Jahren ins Krankenhaus musste wegen einer Knochen TBC. Die Ärzte hatten zunächst die Erkrankung nicht festgestellt, erst als sie Mutter darauf insistierte, wurde die Krankeheit entdeckt. Sie musste fast zwei Jahre in der Klinik bleiben, z.T. In einem Gipsbett – damit die Knochen nicht brechen. Und die Eltern durften sie nicht besuchen, „da das für das Kind zu belastend sei“ – eine typische Schutzbehauptung der damaligen Ärzte, um die Ruhe des Krankenhauses nicht zu stören. Erst, als sie ganz apathisch wurde und fast zu sterben drohte, durfte die Mutter sie besuchen.

Das ist nun tatsächlich eine ganz extreme Form von frühem Verlassensein. Vermutlich ist durch den langen Krankenhaus eine Identifikation mit dem Krankenhaus entstanden – analog der Identifikation mit einem Täter – und damit verbunden eine Abspaltung von ihren eigenen Selbstanteilen erfolgt. Das soll durch eine Aufstellung überprüft und gegebenenfalls gelöst werden.

Aufstellung

Herta stellt eine Person auf für das Krankenhaus, im Zentrum des Kreises, ihre Mutter an den Rand des Kreises, mit Blick auf das Krankenhaus, ihr kindliches Selbst steht hinter dem Krankenhaus, das erwachsene ausserhalb des Stuhlkreises in einer Ecke und sie selbst am Stuhlkreis, mit dem Rücken zu allen anderen.

Die Mutter ist verzweifelt, spürt Liebe zu ihrer Tochter, fühlt sich ganz hilflos.

Die Repräsentanten der Selbstanteile spüren keine Verbindung zu Herta.

Herta fühlt sich sehr alleine, traurig, hilflos.

Diese Aufstellung bestätigt die Vermutung des Therapeuten.

Aufstellungsverlauf

Um Herta vor überflutenden Emotionen zu schützen (Retraumatisierung), bittet er zunächst den Repräsentanten des Krankenhauses, sich vorübergehend zu setzen.

Dann fordert er Herta auf, sich ihren Selbstanteilen zu nähern.

Zunächst wendet sie sich ihrem erwachsenen Selbst zu, dem Teil, der sich frei und sicher fühlt, eine Beziehung einzugehen, eine Ausbildung abzuschliessen.

Dieser Teil ist ihr fremd, sie findet ihn anziehend, nicht gefährlich, aber als sie versucht, sich mit ihm zu verbinden, fühlt sich das für sie fremd an.

Immerhin nimmt sie ihn mit und wendet sich der kleinen Herta zu.

Die steht trotzig und wütend in der Ecke, sie könnte laut schreien.

Herta kennt diese Seite von sich, sie schämt sich dafür, versucht sie zu unterdrücken. Jetzt versucht sie, liebevoll auf sie zu zu gehen: du musstest soviel Schreckliches aushalten, nur so konnte ich selber erwachsen werden. -dabei kommen ihr selber die Tränen. Vorsichtig versucht sie, die kleine Herta an zu fasssen, in den Arm zu nehmen, es gelingt nicht recht. Sie zittert. Die kleine Herta traut ihr noch nicht.

Th.: Vielleicht hast du noch gar keinen inneren Raum für sie? Vielleicht ist dein innerer Raum noch durch etwas anderes besetzt?

Sie nimmt beide Selbstanteile mit, stellt sich in die Mitte. Nun weiss sie, dass diese Selbstanteile zu ihr gehören. Jetzt kann der Repräsentant des Krankenhauses wieder an seinen Platz.

Th.: spürst du Hass auf das Krankenhaus? Herta schüttelt traurig und ratlos den Kopf. Es ging ja nicht anders, sie wäre ja sonst an der Krankheit gestorben, und die Schwestern waren nett zu ihr.

Ihr kindliches Selbst ist da ganz anderer Meinung, es nickt heftig mit dem Kopf.

Offensichtlich ist Herta in diesem Punkt mehr auf Seite des Krankenhauses, als bei ihrem kindlichen Erleben.

Als nächstes stellt sie sich probeweise auf den Platz des Krankenhauses. Dort wird sie ruhig.

Sie hat sich auf die Regeln des Krankenhauses eingestellt, als wären es ihre Eigenen, vielleicht konnte sie nur so überleben. Das entspricht tatsächlich einer – unbewussten – „Identifikation mit dem Aggressor“ und bedingt eine Selbst-Entfremdung, eine Abspaltung von ihren Selbstanteilen.

Th.: Es scheint, du hast dich mit dem Krankenhaus identifiziert, vielleicht um zu überleben. Wenn du mit dir selbst verbunden sein möchtest, könntest du dich entscheiden, dort auszusteigen!

Entschlossen steigt Herta aus dem Krankenhaus aus, ein auf den Boden gelegter Schal symbolisiert die Grenze zwischen ihr und dem Krankenhaus. Und sie kann sagen: Du hast mir das Leben gerettet. Dennoch: du bist du und ich bin ich, du gehörst nicht zu mir. Ich bin vollständig auch ohne dich!

Das scheint neu für sie, erleichtert atmet sie auf.

Rückgaberituale

Offensichtlich hat sich Herta mit den Regeln des Krankenhauses so identifiziert, als wären es ihre eigenen!

Das kann sie dem Krankenhaus, symbolisiert durch einen Stein zurückgeben.

Th.: Möglicherweise gibst du immer noch dem Krankenhaus deinen ganzen inneren Raum, deine Aufmerksamkeit, deine Energie! Das Krankenhaus kann damit nichts anfangen, aber du könntest deine eigene Energie gut brauchen!

Herta nickt und lässt sich ihr Energie symbolisch zurück geben, jedoch nicht vom Repräsentanten des Krankenhauses, sondern von ihrem erwachsenen Selbst, das ihre Energie bewahrt hat.

Sie lässt sich ihre Energie zurückhauchen, in die Herzgegend, in den Nacken, den Scheitel und in den Bauch. Es geht ihr sichtlich besser.

Der Th. Stellt einen Paravent zwischen sie und das Krankenhaus – „wenn die innere Grenze noch nicht entwickelt ist, bedarf es einer äusseren Grenze“.

In einem derart geschützten Raum kann sie erneut auf ihr erwachsenes Selbst zugehen – von dem sie gerade ihre Energie zurück bekommen hat – nun hat sie Vertrauen, und spürt wie sehr sie ihr erwachsenes Selbst braucht.

Th.: Anstatt mit dem Krankenhaus könntest du auch mit deinem Selbst verschmelzen, das wäre eine Alternative!

Nun kann sie ihr erwachsenes Selbst umarmen, so als hätte sie nach langer Zeit einen fast vergessenen guten Freund wieder getroffen. Tränen des Schmerzes, der Rührung, der Erleichterung, des Gücks fliessen.

Gemeinsam mit dem erwachsenen Selbst kann sie sich nun auch ihrem kindlichen Selbst zuwenden, das schon auf sie wartet. Sie umarmt die kleine Herta, die soviel ausgehalten hat, die so alleine war, dass sie beinahe gestorben wäre. Wieder kommen ihr die Tränen.

Nun darf sie beide Teile gleichzeitig spüren. Das ist für sie ungewohnt, sie fühlt sich ruhig, vollständig, sicher.

Th.: Um in dieser Verfassung zu bleiben, brauchst du einen eigenen Raum, brauchst du eine Grenze gegenüber dem Krankenhaus!

Herta ist bereit, ihre Grenze gegenüber dem Krankenhaus zu schützen.

Das Krankenhaus „testet“ diese Bereitschaft und kommt auf sie zu. Etwas zögernd geht Herta dem Krankenhaus entgegen und plötzlich, völlig unerwartet bricht eine tiefer Schmerz aus ihr hervor. Sie krümmt sich vor Schmerz, fast stürzt sie zu Boden. Ihre Selbstanteile stellen sich neben sie.

Th.: Das ist dein kindlicher Schmerz, den du Jahrzehnte lang zurückhalten zu müssen glaubte. Endlich kannst du dich davon befreien! Hier in dieser Gruppe fühlst du dich sicher. Dieser Schmerz darf fliessen, man sollte ihn nicht „wegtrösten“!

Nach wenigen Minuten kommt Herta wieder zur Ruhe. Erschöpft, aber glücklich wendet sie sich ihren Selbstanteilen zu.

Und nun kann sie ganz anders, mit ihrer vollen Kraft ihre Grenze gegenüber dem Krankenhaus vertreten! Als Krafttier sucht sie sich den schwarzen Panter aus.

Ihre Selbstanteile spüren, dass sie noch nicht ganz vom Krankenhaus gelöst ist – so als sei sie „karbolsüchtig“, und schlagen vor, dass das Krankenhaus seinerseits sich ihr gegenüber abgrenzt. Der Th. greift das auf und nun kann das Krankenhaus sich ihr gegenüber Abgrenzen, mit den Worten: ich habe damals meinen Teil zu deiner Gesundung beigetragen, und ich bin auch offen, wenn du krank bist. Aber jetzt bist du gesund, jetzt gehörst du nicht hierher!

Die Selbstanteile – und Herta sind nach dieser Erfahrung erleichtert.

Beziehung zur Mutter

Die Mutter hat diesen Prozess mit viel Gefühl begleitet, sie hatte immer wieder den Impuls, auf ihre Tochter zuzugehen, sie in den Arm zu schliessen, es fiel ihr nicht leicht, zu warten, bis sie „an der Reihe ist“!

Th.: Gibt es der Mutter gegenüber Mitleid oder Vorwurf?

Herta spürt Liebe, aber auch Vorwurf zu ihrer Mutter: „warum hast du mich so alleine gelassen, es war so schrecklich!“

Das kindliche Urvertrauen zur Mutter ist offensichtlich sehr verletzt, und sie macht die Mutter dafür verantwortlich, nicht das Krankenhaus oder die Ärzte, eine typische Verschiebung. Hier macht sich die unterbrochene Hinwendung bemerkbar!

Vor der „Entdeckung“ des Symbiosethemas hätte ich versucht, durch eine vorsichtige Annäherung zu einer Lösung zu kommen.

Diesmal scheint es mir sinnvoll, eine symbiotische Verschmelzung auch mit der Mutter zu überprüfen und gegebenenfalls zu lösen.

Th.: Hast du deine Mutter dafür gehasst?

Herta schüttelt den Kopf, die Mutter war so lieb zu ihr, lieber hab ich mich selber gehasst!

Ihr inneres Kind, vorher noch nahe bei ihr, geht auf Abstand zu ihr.

Th.: Du siehst, das trennt dich wieder von der kleine Herta!

Könntest du zur Mutter sagen: wenn ich es mir hätte erlauben können, dann hätte ich dich dafür gehasst!

Herta windet sich, dann würde sie sich schuldig fühlen.

Th.: Hass ist ein ganz gesundes Gefühl eines so extrem verlassenen Kindes. Wenn du sie unterdrückst, dann trennt dich das von deinem inneren Kind. Du kannst deinem Kind nur dann wieder Raum geben, wenn du zu diesen Gefühlen stehst. Als Erwachsene kannst du die Schuldgefühle zunächst aushalten und dann später klären!

Herta sagt diese Sätze, auch wenn sie noch nicht ganz überzeugt scheint.

Ihr kindliches Selbst kommt wieder näher.

Symbiotische Identifizierung mit der Mutter

Als nächstes überprüft sie, ob sie sich auf Mutters Platz „auskennt“.

Tatsächlich fühlt sie sich hier zuhause, als sei es ihr eigener Platz, sie kennt genau Mutters Sorgen und Gefühle. Sie kennt ihr Bedürfnis, der Mutter gute Ratschläge zu geben, sich als „Kapitän auf Mutters Boot“ zu betätigen, als sei es ihr eigenes Schiff.

Anscheinend war sie auch mit der Mutter symbiotisch verschmolzen. Und dadurch mehr bei der Mutter als bei sich selbst.

Vermutlich war sie durch die Identifizierung mit dem Krankenhaus so weit von sich selbst – und ihrem eigenen Boot – entfernt, dass ihr zur Mutter nur eine Beziehung als „Passagier auf fremden Boot“ möglich war, eine identifizierende, verschmelzende Verbindung???

Lösen der Symbiose

Th.: Das fühlt sich vielleicht liebevoll und verantwortlich an, auf Mutters Boot Kapitän zu sein.

Aber es ist eine Illusion. Und du zahlst dafür einen hohen Preis: Du kannst nicht auf deinem eigenen Boot sein und schon gar nicht als Kapitän!

Kein Wunder, wenn dein Boot in Seenot gerät! Der Kapitän ist nicht an Bord, er ist buchstäblich „auf dem falschen Dampfer“!

Das leuchtet Herta ein. Sie entscheidet sich, aus Mutters Boot „auszusteigen“, geht auf ihren eigenen Platz, ein Schal symbolisiert wieder die Grenze.

Um die Lösung der Verschmelzung zu überprüfen versucht sie den Satz: Mama, das ist dein Platz, dein Schicksal. Du bist du, ich bin ich! Du lebst dein Leben und ich lebe meins und das kann ganz anders sein als deins!

Diese Sätze gehen ihr nur stockend über die Lippen, ihr Gefühl war bisher ganz anders! Aber der Satz ist auch befreiend und in der Wiederholung klingt er überzeugend.

Rückgaberitual mit dem Stein

Th.: Gibt ihr einen schweren Flußkiesel in die Hände und sagt: Wenn du so mit Mutter identifiziert warst, dann trägst du vielleicht auch ihr Last, als wäre es deine eigene?

Herta nickt.

Aber sie kann ihn der Mutter nicht zurück geben. Die Mutter hat doch ihretwegen soviele Ängste und Sorgen ausgehalten, sie fühlt sich dafür schuldig!

Wieder geht ihr inneres Kind einige Schritte zurück. Herta ist offensichtlich wieder mehr bei der Mutter als bei ihrem kindlichen Selbst, das diese unsagbare Verlassenheit ertragen musste!

Th.: Es fühlt sich vielleicht liebevoll an, wenn ein Kind Mutters Sorgen tragen möchte. Aber das geht gar nicht, es ist eine Illusion. Und es wird auch gar nichts besser dadurch, im Gegenteil. Das Kind bringt dadurch zum Ausdruck, diese Probleme seien der Mutter zu schwer, als sei sie zu schwach. Dadurch verliert es die Achtung für die Mutter. Und wenn es realisiert, dass es trotz seine Anstrengung gar nichts bewirken konnte, verliert es noch mehr die Achtung, für die Mutter und für sich selbst!

Herta nickt zustimmend.

Th.: möchtest du wieder zur Achtung finden, für deine Mutter und für dich selber?

Herta nickt. Jetzt kann sie der Mutter den Stein zurück geben. Die nimmt ihn gerne, als hätte sie schon lange darauf gewartet.

Und sie kann zu Herta sagen: Es ist meins und es muss bei mir bleiben. Ich möchte gar nicht, dass du das trägst. Und es hat mir selber so weh getan, fast das Herz zerrissen, dass ich dich alleine im Krankenhaus lassen musste! Ich dachte, es ginge nicht anders!

Herta ist sehr erleichtert und spürt viel Liebe zur Mutter, die auch schon auf sie zugehen möchte, um sie zu umarmen.

Hier bremst der Th. die beiden.

Offensichtlich hat Herta ja die Mutter für die schreckliche Verlassenheit in der Klinik verantwortlich gemacht. Und möglicherweise fühlt sich die Mutter schuldig.

Um das zu klären, wendet der Therapeut das „umgekehrte Rückgaberitual“ an.

Die Mutter bekommt einen – leichteren – Kiesel und sagt zu Herta: Das ist dein Schicksal, es ist sehr schwer, ich hätte es dir gerne abgenommen. Ich sehe dass es zu dir gehört, zu deine Leben. Es ist eine Herausforderung, an der du zerbrechen oder wachsen kannst.

Die Mutter sagt diese Sätze, Herta nimmt – nach anfänglichem Zögern den Stein an sich. „Mama ich bin bereits daran gewachsen“!

Diese Sätze sind für Eltern das Schwerste. Aber wenn sie sich bewusst werden, dass sie ihr Kind nicht stärken, wenn sie ihm sein Schicksal abnehmen wollen, sondern schwächen, dann sind sie bereit, diesen Satz zu sagen.

Und das Paradoxe: mit diesem Ritual gewinnen sie grosse Achtung für ihr Kind. Und dem Kind tut das sehr gut, wenn es sieht, wie sein Schweres geachtet wird. 

Energierückgabe

Der Therapeut fragt Herta, ob sie vielleicht der Mutter viel Raum, viel Aufmerksamkeit, viel Energie gegeben hat, die sie eigentlich für sich selber braucht?

Herta wird nachdenklich und nickt zustimmend.

Sie holt sich selber ihre eigene Energie symbolisch zurück, indem sie ihre Handflächen öffnet, weit in den Raum greift und beide Hände übereinandergelegt zu ihrem Herzen führt. (Variante statt dem symbolischen Zurückhauchen der Energie)

Dies Ritual tut ihr offensichtlich sehr gut und sie wiederholt es noch zweimal.

Nun kann Herta noch einmal ihre beiden Selbstanteile spüren, die während des ganzen Prozesses ein Auf und Ab der Gefühle erlebt haben und glücklich sind, dass sie nun auf sie zugeht.

Sie nimmt beide Selbstanteile in den Arm, verschmilzt mit sich selbst. Und sie strahlt und lacht zum ersten mal ganz erleichtert!

Abgrenzungsritual

Th.: Um so mit dir selber verbunden zu bleiben, bedarf es eines eigenen Raumes, einer Grenze auch gegenüber der Mutter.

Das ist Hertas Raum. Und „wenn Herta drauf steht, sollt nur Herta drin sein!“ Anscheinend war da bisher kaum Herta, aber viel Krankenhaus, Mutter und wer weiss was drin. Du möchtest doch keine „Mogelpackung“ sein?

Herta leuchtet das nach einigem Zögern ein.

Die Mutter ist bereit, Herta’s Abgrenzungsbereitschaft zu „testen“.

Herta schiebt sie zurück, beim ersten mal noch vorsichtig, als sei das verletzend.

Th.: Dies ist das unbewusste „Abgrenzungsverbot“, der Kern des Symbiosemusters. An diese Punkt ist dein Gefühl verwirrt. Und solange du dich nach deinem Gefühl orientierst, bleibst du in der Verwirrung!

Ein Beispiel: Der englische Autofahrer hat ein ganz schlechtes Gefühl, wenn er auf dem Kontinent rechts fahren soll. Wenn er seinem Gefühl folgen würde, dann würde es krachen! Man kann sich an das schlechte Gefühl gewöhnen, dann verschwindet es!

Herta schiebt entschlossen ihre Mutter zurück. Sie verbindet sich mit ihrem Krafttier, dem Panter und stösst einen mächtigen Schrei aus.

Ihre Haltung richtet sich auf, ihr Gesicht entspannt, sie strahlt überglücklich. Auch ihre Selbstanteile strahlen.

Und die Mutter strahlt auch! Sie ist entlastet, endlich hat ihre Tochter die unsichtbaren Fesseln des Symbiosemusters gesprengt!

Und glücklich fallen sich Mutter und Tochter in den Arm.

Der Therapeut stellt hinter die Mutter die Grossmutter, die Urgrossmutter, die Ururgrossmutter… Herta darf sich an die Frauenkette anlehnen – das Gefühl ist ihr völlig neu.

Hinter der Mutter steht die Grossmutter, die Urgrossmutter, die Ururgrossmutter….bis zurück in die Steinzeit! Eine lange Reihe von Frauen. Sie haben Kinder verloren, Männer verloren, sind selber gestorben, aber alle haben sie das Leben weitergegeben. Sonst gäbe es dich gar nicht! Du bist eine von ihnen, nicht besser, nicht schlechter als sie! Und wenn du an deinem Platz stehst, kannst du ihre Kraft spüren!

Herta lehnt sich an die Kette der Frauen an – zum ersten Mal spürt sie deren Halt, sie muss sich nicht mehr nur selber halten!

Weg ins Leben

Th.: Das Schwere, dass dir nicht gehört, das lässt du da, wo es hingehört. Und das was du jetzt selber bist, das nimmst du mit. Und dann gehst du drei Schritte in einen neuen Lebensabschnitt!

Kommentar

Dieses Beispiel zeigt eindrücklich die Auswirkung einer so frühen und heftigen Trennung, das was wir als „unterbrochene Hinwendung“ kennen. Durch die Einbeziehung von Repräsentanten für das erwachsene und das kindliche Selbst („inneres Kind“) wird die unbewusste Identifizierung mit dem Krankenhaus deutlich, die tiefere Ursache für die traumatische Abspaltung eigener Selbstanteile, aber erstaunlicherweise in diesem Falle auch für die unterbrochene Hinwendung.

Die symbolische Ebene der Aufstellung spiegelt die unbewusste innere Befindlichkeit wieder, die durch „Testsätze“ noch verdeutlicht werden kann. Und das Grundmuster der symbiotischen Verwirrung wird deutlich: anstatt mit sich selbst ist der Klient mit etwas fremden identifiziert, als wäre es sein Eigenes. Und anstatt sich gegenüber dem Fremden abzugrenzen, unterdrückt er das Eigene, das ihm gefährlich oder unerwünscht erscheint.

Diese Ebene erlaubt es auch, mit Hilfe von Lösungs-Sätzen und -Ritualen die Identifizierende Verschmelzung mit etwas Fremden bewusst zu machen und zu lösen, und sich wieder mit dem eigenen, den Selbstanteilen zu verbinden.

Entscheidend dann das Abgrenzngritual, das der Klienti ermöglicht einen eigenen Raum als Voraussetzung für eine eigene Identität zu schaffen – auch wenn das zunächst als ungewohnt oder verboten erscheint.

Diese Form der Aufstellung – man könnte sie als „systemische Selbst-Integration“ bezeichnen – ist hervorragend als schonende Traumatherapie geeignet. Und mit Hilfe dieses Verständnisses gelingt es, auch die frühkindliche Verlassenheit als Trauma, als Ursache für Selbst-Entfremdung und Abspaltung zu verstehen – und mit der gleichen „Choreografie“ zu lösen.