Seit 18 Jahren arbeite ich als Psychiater mit Systemaufstellungen, dabei tauchte immer wieder das Thema Schuld und Schuldgefühle auf. Sie erschweren den Betroffenen das Leben, zum Teil bis hin zu Suizidalität und psychotischer Verwirrung. Wenn es gelingt, diese oft unbewussten Zusammenhänge bewusst zu machen – und zu lösen, bedeutet das für den Klienten einen ungeheuren Zuwachs an Lebenswert.

Im Folgenden werde ich – aufgrund eigener Erfahrungen – die Phänomene ordnen und beschreiben und neue Lösungsstrategien aufzeigen, die dadurch möglich werden, dass das Phänomen der symbiotischen Bindung – hier verursacht durch Schuldgefühle – in den Blick genommen wird.

SCHULDGEFÜHLE

Beschreibung

Wirkung von Schuldgefühlen

  1. Verlust der „angeborenen Unschuld”, der Würde und Selbstachtung
  2. „Verbot”, glücklich und erfolgreich zu sein
  3. Schuldgefühle können daran hindern, Abschied zu nehmen
  4. Seelische Gewalt und Schuldgefühle
  5. Macht und Schuldgefühle

SCHULD

  1. eigene reale Schuld

Mord, fahrlässige Tötung
Abtreibung (verbunden mit fehlendem Abschied)

  1. eigene „angemaßte” Schuld

„Überlebensschuld”: verlorener Zwilling, Holocaust-Überlebende

  1. zugewiesene Schuld
  2. übernommene Schuld
  3. Lösung durch „systemische Selbst-Integration”

SCHULDGEFÜHLE

Beschreibung

Unabhängig davon, ob es real eine Schuld gibt oder nicht, ob sie aus der eigenen Biografie oder aus dem System stammt, die Auswirkungen sind ähnlich.

Schuldgefühle machen sich durch ein Gefühl lastender Schwere bemerkbar, zunächst beim Klienten. In der Aufstellung wird dies Gefühl von den Stellvertretern übernommen. Es fehlt die Leichtigkeit, die Fröhlichkeit, die Lebendigkeit. Bisweilen wird das durch eine unechte, „aufgesetzte” Fröhlichkeit verdeckt.

In einer Aufstellung fingen die Stellvertreter – alles gestandene Therapeuten – an, wie Backfische zu Gickern und Gackern. Später tauchte ein Schuldthema auf, das alle schon vorher spürten und unbewusst überspielten.

Gut, wenn der Leiter das wahrnimmt. Gelingt eine Lösung, dann ist die Erleichterung für alle zu spüren, es wird wieder fröhlich und lebendig.

Wirkung von Schuldgefühlen

1. Verlust der „angeborenen Unschuld”, der Würde und Selbstachtung

Wir alle sind von Geburt an unschuldig, haben unsere eigene Würde. Das gehört zu unserer „Grundausstattung, zu unserem „Selbst”, zu unserem Eigensten, das wir nicht verlieren können. Allerdings verlieren wir oft die Verbindung mit diesem „Selbstanteil”. Da die Auswirkungen von Schuldgefühlen sehr einschneidend sein können, lohnt es sich, sie zu erkennen und gegebenenfalls aufzulösen.

„Schuldgefühle sind so überflüssig wie ein Kropf” (Hellinger)

2. „Verbot”, glücklich und erfolgreich zu sein

Schuldgefühle haben eine eigenartige Wirkung, sie lösen ein Bedürfnis nach Sühne aus, so als könne dadurch eine Schuld gemindert werden. Alles, was das Leben schwer, unglücklich und traurig macht, kann die Funktion einer Sühne haben, ist geeignet, die drückenden Schuldgefühle abzumildern.

So entsteht ein Paradox: wenn es einem gut geht, nehmen die Schuldgefühle zu und es geht einem schlechter. Wenn es einem schlecht geht, lassen die Schuldgefühle nach und es geht einem besser!

So als dürfe es einem eigentlich nicht wirklich gut gehen!

3. Schuldgefühle können daran hindern, Abschied zu nehmen

Wenn es gegenüber einer anderen Person Schuldgefühle gibt, dann scheint es unmöglich, sich von dieser Person zu verabschieden, wenn sie geht oder wenn sie stirbt – oder wenn sie schon lange verstorben ist. Vielleicht, weil es ein Bedürfnis gibt, die Schuld durch Sühne zu tilgen?

In Aufstellungen taucht das häufig auf in der Beziehung zu einem Elternteil, der vielleicht schon alt und pflegebedürftig ist und „nicht sterben kann”. Wenn ein Klient eine derart symbiotische Bindung gelöst hat, kann der betroffene Elternteil leichter sterben. Schuldgefühle erschweren auch das Abschiednehmen von einem abgetriebenen Kind.

Vielleicht ist dies Phänomen auch die Ursache dafür, dass ein Täter unbewusst mit dem Opfer verbunden bleibt, mit der Folge, daß seine Nachkommen sich mit diesem Opfer identifizieren können. Entsprechend der Erfahrung: „Opfer gehören zum System.”

4. Seelische Gewalt und Schuldgefühle

Als seelische Gewalt kann all das verstanden werden, was geeignet ist, dem anderen seine Würde, seine Selbstachtung, seine Unschuld abzusprechen.

Die offene oder verdeckte Zuweisung von Schuld gehört dazu. Eltern, die wegen einer Schwangerschaft „heiraten mussten”, machen nicht selten das betreffende Kind für ihr Unglück verantwortlich.

Bisweilen ist einer Mutter gar nicht bewusst, welche Last sie ihrem Kind durch einen einzigen unbedachten Satz aufbürdet.

Zwei Buben, 7- und 5-jährigen kommen vom Baden heim. Die Mutter fragt den älteren, wo die Badehose des jüngeren sei? Als dieser meint, das sei doch die Aufgabe des Jüngeren, sagt sie, bedeutungsschwer: „soll ich meines Bruders Hüter sein?” (Kains Antwort auf die Frage Gottes nach seinem Bruder Abel, den er gerade ermordet hatte).

5. Macht und Schuldgefühle

Schuldgefühle gehen einher mit einem Verlust der Selbstachtung, der eigenen Würde. Die Betroffenen sind geschwächt in ihrer Fähigkeit, selbstbestimmt zu leben, ihre eigenen Ansichten, ihr Recht zu vertreten, sich angemessen gegen fremde Übergriffe zu wehren.

Alle autoritären Systeme verwenden daher – neben Angst und Terror – das Instrument der Schuldgefühle, um ihre Macht zu stärken und zu vergrössern. Das gilt für das Kollektiv der Familie, aber auch für andere soziale Kollektive.

Eine etwa 35-jährige Frau, geboren in der DDR, lebt seit 6 Jahren in einer westdeutschen Stadt und hat das Gefühl, dort noch nicht „zuhause” zu sein. In der Aufstellung wird deutlich, dass sie noch verbunden ist mit dem DDR-Regime und dessen Vorstellung von „Republikflucht”. Sie hat bei einer „Jugendweihe” Staat und Vaterland die Treue geschworen. Sich im Westen zuhause zu fühlen empfindet sie wie Verrat. Ihr fehlt die innere Grenze gegenüber dem DDR-Regime, sie verfügt ihm gegenüber nicht über einen eigenen inneren Raum, ihr Raum ist noch besetzt von der DDR-Ideologie.

Der Psychoanalytiker Arno Gruen („Verrat am Selbst”, „Der Wahnsinn der Normalität”) beschreibt prezise autoritäre Strukturen, im Nazi-Regime, aber auch da, wo man sie nicht vermutet: in psychoanalytischen Lehrinstituten.

Die römische Kirche ist ein sehr bekanntes und lange Zeit sehr erfolgreiches Modell eines autoritären Systems. Jesus war ein Revolutionär, der Liebe und Mitgefühl über das Gesetz stellte. Das war gefährlich für die Macht – der Priester, aber auch der römischen Besatzer. Deshalb wurde er zum Tode verurteilt.

Die römische Kirche behauptet, Jesu Lehre zu vertreten – unfehlbar. Aber sie wurde zur Komplizin der Staatsmacht, und änderte – deshalb? – seine Botschaft, ins Gegenteil. Neben, oder an Stelle des: „Ihr seid alle Gottes Kinder!” nun die Lehre von der Erbsünde, die geeignet ist, den Gläubigen ihre „angeborene Unschuld” auszureden. Die „frohe” Botschaft lautet jetzt: Gott hat die Menschen so geliebt, dass er seinen einzigen Sohn opferte, um ihre Schuld zu tilgen.

Selten wurden Schuldgefühle so subtil verpackt.

Das Bedürfnisse nach Erlösung zu suggerieren und gleichzeitig „das Monopol” für die Erlösung zu beanspruchen, das gibt Macht! Ist das nicht „religiöser Kapitalismus”?!

SCHULD

Verschiedene Formen von „Schuld” lassen sich unterscheiden: Schuld, die aus der eigenen Biografie stammt – real oder „angemaßt” – und solche die einem aufgebürdet wurde oder die man – meist unbewusst – von anderen – oder für andere – übernommen hat.

1. Eigene reale Schuld

Mord, fahrlässige Tötung

Hier geht es um die beabsichtigte oder unbeabsichtigte schwere Beeinträchtigung der Gesundheit eines Anderen, im Extremfall mit der Folge seines Todes. Hier ist ein Schuldgefühl angemessen.

Abtreibung (verbunden mit fehlendem Abschied)

Abtreibung löst ebenfalls schwere Schuldgefühle aus, die von bestimmten autoritären Institutionen noch systematisch verstärkt werden.

Einerseits verbietet es die besondere schicksalhafte Verbindung zwischen einer Mutter und dem Embryo, hier von Tötung oder gar Mord zu sprechen. Andrerseits verkennt ein zu laxer Umgang mit Abtreibung die Wucht der – unbewussten – Schuldgefühle, auch bei vorgeblich „aufgeklärten” Frauen! Nach meiner Erfahrung kann sich das bei einer betroffenen Frau noch nach 20 Jahren (!) in Form von Angst und Depression bemerkbar machen.

Diese unbewussten Schuldgefühle verhindern, daß die Frau „das kleine Wesen”, das „zu ihr kommen möchte” zunächst einmal begrüsst, ihm die Liebe zeigt, die sie ihm nicht geben konnte, dann zu ihrer Entscheidung steht, und das Kind verabschiedet, es „dahin gehen läßt, wo es seinen Frieden findet”.

2. Eigene „angemaßte” Schuld z.B. „Überlebensschuld”

verlorener Zwilling,

Ca. 20 % der Schwangerschaften sind als Zwillingsschwangerschaft angelegt, nur ca. 2 % kommen mit ihrem Zwilling auf die Welt, folglich haben ca. 18% früh einen Zwilling verloren – ohne es zu wissen! Dennoch hat dieser frühe Verlust eine Spur im „emotionalen Gedächtnis” hinterlassen. Viele der Betroffenen kennen ein Gefühl der Schuld, so als hätten sie etwas Schlimmes verhindern sollen oder als hätten sie es sogar verursacht!

Holocaust-Überlebende

Als Teilaspekt der Traumatisierung durch den Holocaust ist das Phänomen der „Überlebensschuld” bekannt. Die Betroffenen fühlen sich schuldig, als hätten sie, angesichts des schrecklichen Todes aller Angehörigen nicht verdient, zu leben.

Ein vergleichbares Phänomen findet sich bei Überlebenden der Weltkriege, die Krieg und evtl. Gefangenschaft überlebten.

3.zugewiesene Schuld

„MUSS-EHE”

Menschen machen in ihrem Leid und in ihrer Verwirrung oft andere für ihr Unglück verantworlich – zu Recht oder meistens zu Unrecht. Wenn ein Paar sich nach einer unerwünschten Schwangerschaft für eine Ehe entscheidet und dann zusammen unglücklich ist, macht es nicht selten das Kind dafür verantwortlich. Dies ist ein typisches Beispiel für die häufige Verwechslung von Ursache (causa) und Schuld (culpa), beides wird ja in der – hier sehr ungenauen – Umgangssprache als „Schuld” bezeichnet.

Dabei hatte das Kind ja nicht die Möglichkeit, das zu verhindern – und es hat auch nicht „mitgevögelt”!

DAS FALSCHE GESCHLECHT

Manche Eltern sind – auf Grund eigener Verlusterfahrungen – nicht in der Lage, ihrem Kind seinen eigenen Raum, seine eigene Würde zu geben. Sie können es nicht als etwas Neues und in jeder Hinsicht Eigenes würdigen und begrüssen, sie wünschen sich zum Beispiel einen Sohn – oder eine Tochter. Und lassen dann – wenn es anders kommt – das Kind ihre Enttäuschung spüren. Das Kind entwickelt dann nicht selten das Gefühl, daran „Schuld” zu sein, dass es nicht den Erwartungen entspricht. Dass es nicht dazu gehören dürfe, weil es nicht richtig, weil es falsch sei. Und es versucht vielleicht, das unbewusst auszugleichen durch die Erfüllung eines „Übersolls”. Dann sind auch 150 % noch zu wenig!

4. Übernommene Schuld

Wenn Eltern sich selber schuldig fühlen – zu Recht oder nicht – dann übernehmen Kinder das häufig – bewußt oder unbewußt. In symbiotischer Identifikation mit dem Elternteil sühnen sie stellvertretend. Meist ist das nicht so offensichtlich wie in folgendem Beispiel:

Ein Mann hatte seinen Vorgesetzten umgebracht, so geschickt, daß er nicht entdeckt wurde. Gequält von Schuldgefühlen – hier angemessen! – stellte er sich der Polizei und wurde verurteilt – Strafe als angemessene Sühne.

Nach einigen Jahren beantragte er eine vorzeitige Freilassung, mit der Begründung, er müsse sich um seine halbwüchsigen Kinder sorgen. Diesem Antrag wurde – wegen guter Führung – statt gegeben. Einige Zeit später brachte sich eines der Kinder auf spektakuläre Weise um: es überschüttete sich mit Benzin und verbrannte sich auf dem Marktplatz.

5. Lösung durch „systemische Selbst-Integration”

DIE SYMBIOTISCHE VERWIRRUNG

Bei Schuld gibt es häufig eine emotionale Verwirrung.

Der „Schuldige” – ob real oder angemaßt – hat die Illusion, er müsse etwas gut machen, im Sinne von Sühne. Sei es, dass er das Schicksal des „Opfers” teilt – z.B zu sterben oder zu leiden wie das Opfer – oder dass er in anderer Weise „einen Preis zahlt”, indem es ihm schlecht geht, er etwas Geliebtes verliert: Gesundheit, Besitz, Erfolg. Bisweilen wird sogar der Verlust – oder die Behinderung – eines Kindes als „Strafe” erlebt z.B. für eine Abtreibung!

Hier wirkt symbiotische Verwirrung. Der „Schuldige” gerät in einen „gemeinsamen Raum” mit dem Opfer. Die Unterscheidung zwischen ihm und dem Opfer, die Grenze geht verloren. Damit auch die Unterscheidung zwischen Eigenem und Fremden. Er ist nicht mehr in seinem eigenen seelischen Raum, kann daher nicht mehr verbunden sein mit seinem Selbst, dem Teil der seine Würde behält, der sich frei und unschuldig fühlt, obwohl das alles geschehen ist. Er stellt sozusagen seinen eigenen seelischen Raum – der nur für ihn, für das was zu seiner Identität gehört, bestimmt ist – etwas Fremden zu Verfügung, als sei es jetzt sein Eigenes, als sei er dafür zuständig.

Das trennt ihn jedoch von seinem Eigensten, seinem Selbst, führt zu einer Abspaltung des Eigenen, zur Selbst-Entfremdung. Stattdessen fühlt er sich für das zuständig, was im fremden Raum ist, so als wäre es seins.

LÖSUNG DURCH GESUNDE DISTANZ

In der Systemaufstellung sucht der Klient Repräsentanten für das „Opfer”, für sein „Selbst” – dass sich trotz allem seine Würde und Unschuld nicht verloren hat – und stellt sie auf. Meist zeigt sich da schon die symbiotische Verwirrung: er hat mehr Nähe zum „Opfer”, als zu seinem „Selbst”.

Für die Lösung ist zunächst wichtig, dass der „Schuldige” sich von der Illusion verabschiedet, etwas gutmachen zu können, mit anderen Worten, dass er zu dem steht, was er getan hat und dass er alle Konsequenzen, die daraus entstehen, auf sich nimmt.

Dieser Abschied von den eigenen Größenfantasien, das bewusste Annehmen aller Konsequenzen ist schmerzlich – wie jeder Abschied. Aber es ermöglicht ihm, sich als getrennt vom Gegenüber zu erleben, zwischen sich und dem anderen zu unterscheiden.

Er kann wahrnehmen, daß das Schicksal des „Opfers” zum Opfer gehört, egal ob er – zu Recht oder auch nicht – glaubt es verursacht zu haben. Und er kann symbolisch all das, was zum Opfer gehört, bei diesem lassen.

Er kann wahrnehmen, dass er dem „Opfer” in unangemessener Weise Raum, Aufmerksamkeit und „Energie” gegeben hat – die ihm selber fehlt. Und er kann das symbolisch zurück holen.

LÖSUNGSPROZESS: BEISPIEL ABTREIBUNG

Die Klientin stellt Repräsentanten auf für das abgetriebene Kind und für ihr eigenes Selbst, den Teil von ihr, der sich frei und unbeschwert fühlen darf, obwohl sie sich gegen das Kind entschieden hat.

Das abgetriebene Kind ist ihr viel näher als ihr Selbst.

Die Klientin sagt zum Kind: „Ich habe mich gegen dich entschieden, und ich stehe dazu. Ich kann da nichts ungeschehen machen oder wieder gut machen. Aber du gehörst dazu!”

Meist spürt die Klientin jetzt Schmerz und Schuldgefühle. Wenn sie sich an den Platz – in den Raum – des abgetriebenen Kindes stellt, geht es ihr nicht selten besser, die Schuldgefühle lassen nach. Das entspricht einem Wunsch, lieber selbst zu sterben. Das kann als symbiotische Identifikation mit dem Kind verstanden werden – und gelöst werden.

Sie kann sich entscheiden, den Raum des Kindes zu verlassen, zurück in den eigenen Raum zu gehen und zum Kind zu sagen: „das ist dein Platz, dein Schicksal, du bist du und ich bin ich. Du bist deinen Weg gegangen und ich gehe meinen Weg.”

RÜCKGABE-RITUALE

Wenn die Mutter erkennt, dass sie mit dem abgetriebenen Kind und dessen Schicksal identifiziert war, kann sie das, was gar nicht zu ihr gehört, symbolisiert durch z.B. eine Holzschachtel dem Kind geben. Mit den Sätzen: „Obwohl ich es durch meine Entscheidung verursacht habe, gehört es nicht zu mir, sondern zu dir!”

Da sie offensichtlich dem Kind – bewußt oder unbewußt – sehr viel Raum, Aufmerksamkeit und Energie gegeben hat, kann sie diese Energie symbolisch wieder zu sich zurück nehmen.

VERBINDUNG MIT DEM SELBST

Jetzt ist es ihr möglich, sich ihrem eigenen Selbst – das sich trotz allem frei und unbeschwert fühlen darf – wieder zu nähern, und mit ihm eins zu werden – statt mit dem abgetriebenen Kind. Sie richtet sich auf spürt wieder ihre Würde.

BEGRÜSSUNG UND ABSCHIED

Erst nachdem die Klientin derart ihre symbiotische Identifikation mit dem Kind gelöst hat, und sich als getrennt vom Kind wahrnimmt, ist es ihr möglich, zum Kind in Kontakt zu treten, es zu begrüssen und zu verabschieden – denn Abschied ist nur möglich, wenn man sich zuvor begrüsst hat!

„Ich achte, dass du zu mir kommen wolltest. Ich hatte keinen Platz für dich, konnte mich nicht über dich freuen, dich nicht begrüssen.”

Das kann sie nun in einer liebevollen Umarmung nachholen. Dabei kann – endlich! – die Liebe zu ihrem Kind „abfliessen” eine Liebe, die anscheinend jede Frau hat, sobald sie schwanger wird, unabhängig davon, ob sie sich für oder gegen das Kind entscheidet! Es ist immer wieder sehr beeindruckend, zu sehen, wie nach diesem einfachen Vollzug beide, Mutter und Kind erleichtert sind.

Und nun ist auch der Abschied möglich.

„Vielleicht habe ich dich unbewußt durch meine Schuldgefühle festgehalten. Für dich ist es schon lange vorbei und du darfst jetzt auch dahin gehen, wo du deinen Frieden findest, wo es keinen Schmerz und keine Schuld gibt – nur Liebe und Licht und…Musik!”

Nach einer letzten Umarmung kann das abgetriebene Kind sich umdrehen und seinen Weg gehen, dahin, wo es seinen Frieden findet.

Und die Klientin spürt, kurz und heftig, den Abschiedsschmerz. Hier ist das ein Zeichen dafür, dass die symbiotische Identifikation mit dem abgetriebenen Kind – die keinen Kontakt und weder Begrüssung noch Abschied erlaubte – gelöst ist.

Dieser Abschiedsschmerz ist heilsam, denn er „öffnet die Türe zu etwas Neuem”.