INSTITUT SYSTEMISCHE SELBST-INTEGRATION LANGLOTZ-KUTZELMANN
- Abgrenzung gegenüber einem verwirrten Familiensystem
- Wo bin ich eigentlich zuhause?
- Not – oder Freiheit?
Liebe Freunde,
liebe Kolleg*innen,
mir wird immer wieder bewusst, welches Glück es bedeutet, durch diese Arbeit so ungewöhnlichen Menschen zu begegnen. Ungewöhnlich, weil sie herausgefordert durch ihre Schicksale auf der Suche nach Lösungen zu mir finden. Gewachsen an ihren Herausforderungen haben manche Erfahrungen gemacht, die auch für mich und für andere wertvoll sein können. Das möchte ich heute mit euch teilen.
Zuvor jedoch ein kurzer Hinweis:
Der Intensiv-Ausbildungskurs, der im Mai 2025 starten sollte, wird verlegt. Die neuen Daten sind: Modul 1: 25-28.09, Modul 2: 22.-25.1.2026
Nun zu den Themen von heute:
Abgrenzung gegenüber einem verwirrten Familiensystem
Füsun stammt aus einer türkischen Familie, die durch viele traumatischen Erfahrungen belastet ist. Dadurch haben die einzelnen Familienmitglieder eine enge, symbiotische Beziehung zueinander, was sich für den Einzelnen in seiner Entwicklung unvorteilhaft auswirkt.
Sie hat das für sich schon früh erkannt, und instinktiv für einen eigenen Standpunkt gekämpft, auch wenn sie dabei die ganze Familie wie einen Tsunami gegen sich hatte.
Sie beschäftigt sich schon lange mit unserer Methode der SSI, weil sie da die passende Theorie zu ihrem Lebensgefühl findet, und wirksame Methoden, um das zu unterstützen.
Dazu Füsun: „meine Form der Aufstellung zum Thema:
Grenzen setzen zu einer durch Tradition und Traumata symbiotisch verklebten Herkunftsfamilie.
Anhand dieser Methode werden mehreren Beteiligten die Räumlichkeiten und Zuständigkeiten gezeigt! Das hilft wieder Klarheit zu finden. Man sieht auch, wie man durch Fremdeinfluss (oft durch die eigenen Eltern) instrumentalisiert und unterdrückt wird. Jedoch sich davon befreien kann!!“
Kommentar Ero:
Tatsächlich ist das Geflecht einer symbiotisch untereinander verstrickten Familie so verwirrend, das es für einen Einzelnen fast unmöglich ist, sich daraus zu befreien. Daher gehe ich da bisher so vor, dass ich jede dieser Beziehungen einzeln durch die Aufstellung klären lasse.
Die von Füsun entwickelte Variante könnte die Vorgehensweise abkürzen, indem sie ein symbiotisches Kollektiv in die Einzelteile aufteilt (Mutter, Bruder, Schwester), und durch die Symbole fiktiv deren Raum und Selbst und Trauma andeutet. Die symbolische Darstellung der Grenzen eines jedes Familienmitglieds macht ihr diese unterschiedlichen Räume bewusst, die den betroffenen und ihr selber nicht vertraut sind. Das macht es ihr leichter, ihre eigenen Grenzen wahrzunehmen und zu schützen und fremde Grenzen wahrzunehmen und zu respektieren, in denen sie nicht zuständig ist, aber für die sie immer wieder eingespannt werden soll.
Danach kann sie sich auf ihre Beziehung zur Mutter konzentrieren, unbelastet von den Verstrickungen der Mutter mit Füsuns Bruder und Schwester. Durch diesen Kunstgriff kann sie direkt die Beziehung nur zur Mutter für sich klären. Mit Klötzchen als Symbolen, ohne dass die Mutter anwesend ist.
Für sie selber war dieser Prozess sehr erleichternd.
Erstaunlicherweise erfuhr sie von ihrem Bruder, dass auch die Mutter – die von Füsuns Aufstellung nichts wusste – danach sehr viel entspannter ist.
Dazu eine Anmerkung von meinem Kollegen Philipp Kutzelmann. Er hat sich mit dem US-amerikanischen Familientherapeuten Bowen beschäftigt, der offenbar vor 60 Jahren selber ähnliche Erfahrungen in seinem eienen Familien-System gemacht hat:
„Bowen hat das in einem Aufsatz als einen Teil eines persönlichen Durchbruchs beschrieben. Es gab in seinem Herkunftssystem – so weit ich mich erinnere – eine sehr belastete Beziehungskonstellation, in die zwei seiner Geschwister mit verstrickt waren. Der Durchbruch kam für ihn, als es ihm gelang, zu jedem dieser Geschwister eine individuelle Beziehung haben zu können, ohne sich automatisch in die belastete Situation zwischen den Geschwistern hineinziehen zu lassen.
Dieser Meilenstein in der persönlichen Differenzierung kann dann laut seinen Beobachtungen auch ins System hineinwirken, da es für die Einzelnen auch wieder eine Einladung zur Differenzierung darstellt. Es kann aber auch dazu führen, dass man zwischenzeitlich aus dem System „ausgeschlossen“ wird, da die anderen vehement am Status-Quo festhalten.“
Diesen letzteren Aspekt, dass ein verwirrtes Familiensystem ein Mitglied, das sich aus diesen symbiotischen Fesseln befreien möchte, mit Ausgrenzung droht, beobachten wir immer wieder. Das erklärt die „unbewusste Loyalität der Betroffenen mit dem Leid der Familie“. Welches die Betroffenen daran hindern kann, sich zu befreien.
Wenn sie es dennoch wagen, dann begegnet ihnen die Frage, die mir kürzlich eine italienische Schülerin Lia stellte:
Wo bin ich eigentlich zuhause?
Lia stammt ebenfalls aus einer sehr traumatisierten Familie. In mehreren Anläufen begann sie sich zu lösen und stärkte Schritt für Schritt ihre emotionale Autonomie.
In einer letzten Sitzung bearbeiteten wir ihr Problem, sich als Coach gegenüber Klienten ohne Schuldgefühle abzugrenzen.
Jetzt schreibt sie mir:
„Ich war überrascht wie gut ich mich plötzlich abgrenzen konnte und sogar beobachtete wie ich bereit gewesen wäre, das Coaching abzubrechen und das Geld ihr rück zu überweisen, wenn es für mich nicht mehr gestimmt hätte.
Ich konnte emphatisch – traumasensibel und zugleich bei mir bleibend mich positionieren und handeln. So räumte sich das Verhältnis vo selbst wieder in eine coach klient Beziehung ohne Verstrickung. Mir geht es gut damit und der Klientin auch.
Es hat sich verändert dass ich mich generell weniger verantwortlich fühle. Die letzte Aufstellung die ich geleitet habe – nicht geplant- hat mir dann Klarheit gebracht – dass es doch sehr schön ist und mir Freude bereitet, Menschen durch diesen Prozess zu begleiten. Zugleich beiße ich mich nicht mehr fest dass es das sein muss was ich beruflich machen werde. . . .
Mein ganzes Leben und Sein wandelt sich… und es ist ok- das darf sein.
Ich habe gemerkt, dass ich nicht weiß was mein Land ist… Ich habe kein Bezug, keine Heimat… Ich bin hier nicht zu Hause und auch in Italien fremd… Hast du diesbezüglich mit Klienten Erfahrungen?
Ich fühle mich nirgends zugehörig, außer zu der Weltenseele. Ich fühle mich eher außerhalb der Erde zu Hause. Und das beschäftigt mich gerade… ich weiß nicht was mein Land ist… mein Ort… Meine Wurzeln… woher komme ich? Wo geh ich hin?
Kann ich diese finden? Frage ich mich…“
Meine Antwort: Hallo Lia – die Weltenseele – das ist vielleicht der Schlüssel? oder Mutter Erde, die uns alle hervorgebracht hat, die uns täglich trägt und nährt?
Wenn wir uns bewusst sind auf dieser Weise Teil zu sein eines Grösseren schöpferischen Ganzen, dann gibt uns das eine innere Würde, unverlierbar und unzerstörbar. Manche erleben dieses Einswerden mit dem wahren Selbst als „endlich zuhause ankommen.“
Wenn wir uns dessen bewusst sind, dann können uns auch frühere Verletzungen der Eltern heute nichts mehr anhaben. Diese gesunde Distanz zu den Eltern – die wir ja mehr als unvermeidbares Werkzeug der Erde verstehen – ist vielleicht für viele neu, und ungewohnt. Vor allem dann, wenn sie sich bisher über das Leid so unlösbar mit den früheren Generationen verbunden fühlten, so als hätten sie nur dadurch das Recht zu existieren.
ABER IST DAS NICHT DIE BEFREIUNG?
Wir erkennen doch immer deutlicher, wie viel persönliches und kollektives Leid (Kriege!) gerade durch diese Identifizierung mit der eigenen Sippe entstehen. Müssen wir uns nicht fragen, ob diese Identifizierung mit Sippe und Heimat („mit der Scholle“) etwas Destruktives, ja sogar Widernatürliches ist?
Kann es sein, dass durch die individuellen – und kollektiven – Krisen ein archaisches Potential geweckt wird, ein altes Wissen um die eigene unverlierbare Würde, das in den spirituellen Lehren der verschiedenen Religionen erhalten ist.
So gibt es innerhalb des Islam die Sufis. Sie sagen:
‚Viele denken, Gott ist oben im Himmel, aber er blickt zu uns von innen‘.
Das heißt, der Sufismus geht davon aus, dass eine Vollkommenheit in uns pulsiert, die wir aufzudecken haben wie einen Schatz. Und dieses Aufdecken geht nicht fern von der Welt, sondern im täglichen Geschehen.
Mir scheint, unsere Methode der Selbst-Integration ist geeignet, diese Bewusstseinsänderung zu unterstützen.
TERMINE
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Eine Übersicht aktueller Termine finden Sie auf unserer Homepage.
Wir grüssen euch herzlich!
Ero und Phil
(versendet: 28.04.2025)