Familienaufstellung mit Psychosepatienten

Als Psychiater habe ich immer wieder auch Psychosepatienten in meinen Gruppen.
Da das Familienstellen in der herkömmlichen Form nur mäßige
Wirkung zeigte, bezog ich archaische Ablösungs- und Abschiedsrituale
in die Aufstellungsarbeit mit ein. Kürzlich tauchte im setting
des Familienstellens das altbekannte Symbiose-Thema auf, zusammen mit einem
kraftvollen archaischen Abgrenzungs-Ritual. Das „Verschmelzungs-Syndrom“
und die damit verbundene Abgrenzungs- und ICH-Schwäche scheint ein sehr
häufiges Beziehungsmuster zu sein, welches bei der Entstehung „psychiatrischer“
Erkrankungen insbesondere von Borderlinestörungen und Psychosen eine
entscheidende Rolle spielt. Wenn wie auf dieses Syndrom achten und diese Lösungsrituale
in die Aufstellungsarbeit einbeziehen, eröffnen sich uns neue therapeutische
Möglichkeiten1. Und es könnte Aufstellern helfen, wenn nicht eine
Psychosegefährdung selbst, so wenigstens die Symbiosemuster zu erkennen
und durch die geeigneten Rituale die Ich-Stärke und Abgrenzungsfähigkeit
der Klienten zu unterstützen.

Wenn man – wie ich – dem Familienstellen eine wichtige komplementäre
Rolle im Therapiespektrum gerade auch der Psychosen einräumen möchte,
ist es fatal, dass ausgerechnet durch das Familienstellen Psychosen ausgelöst
werden können. Wie lässt sich das verstehen?

Psychose nach einer Familienaufstellung

Immer wieder höre ich, dass Klienten nach einer Familienaufstellung
psychotisch dekompensieren. Leider kenne ich keinen Bericht eines beteiligten
Aufstellers. Sosehr ich das Schweigen nachvollziehen kann, so wichtig wären
Berichte, um die Zusammenhänge besser zu verstehen. Aber vielleicht wissen
viele Aufsteller gar nicht, dass ihr Klient nach der Aufstellung eine Psychose
bekam, weil sie ihre Patienten nicht nachbetreuen!?
Das Familienstellen ist eine ungeheuer machtvolle Methode, die daher auch
schaden kann. Das erfordert eine professionelle Vorgehensweise und die Möglichkeit
von Nachgesprächen.

Folgende eigene Beobachtungen und Erfahrungen sollen das Thema “Psychose
nach Aufstellung” verdeutlichen. Ich füge einige Mosaiksteine zusammen
und wünsche mir Ergänzungen aus dem Kreis der Aufsteller.

  • Bei meinen Bemühungen, das Familienstellern unter Psychiatern bekannt
    zu machen, höre ich von einer jungen Klinik-Kollegin : “ich kenne
    die Aufstellungsarbeit nur über die Patienten, die nach einer Aufstellung
    psychotisch wurden“.

 

  • Vor Jahren suchte mich eine Klientin auf, weil ihre Tochter psychotisch
    geworden war. Sie hatte sich früh von dem Vater des Kindes getrennt.
    Als sie bei Hellinger las, wie wichtig für ein Kind der Kontakt zum Vater
    sei, versuchte sie, einen Kontakt zwischen Tochter und Vater herzustellen
    – und die Tochter wurde psychotisch!
    Der Mann hatte selbst eine Psychose. In einem psychotischen Zustand hatte
    er versucht, seine Frau umzubringen. In diesem Fall war es also richtig,
    die Tochter vor dem Kontakt zum Vater zu schützen!

 

  • Eine Klientin stellt ihre Gegenwartsfamilie bei mir auf. Sie verabschiedet
    sich von ihrem geschiedenen ersten Mann mit den bewährten Sätzen:
    Das Schöne, dass ich mit Dir erlebt habe, behalte ich im Herzen….
    Am nächsten Tag ist sie sichtlich verwirrt. Ihr Begleiter ist empört
    und vorwurfsvoll: „Das war schon bei der letzten Familienaufstellung
    so!“
    Die genaue Befragung ergibt, dass der Mann gewalttätig gegen sie gewesen
    war. Auch hier war es wichtig für sie, sich vor dieser Energie zu schützen.
    „Ich achte deine Verwirrung und deine Schuld und lasse sie ganz bei dir“.
    Danach ging es ihr zusehends besser.

 

  • Eine Kollegin, die selber Aufstellungen leitet, spürt, dass ihr der
    Kontakt mit ihrer Mutter nicht gut tut und hält Distanz. Die Mutter hat
    eine Psychose. Von mehreren erfahrenen Aufstellern wird ihr vorgeworfen, dadurch
    ihre Mutter nicht zu achten, das macht ihr Schuldgefühle.

 

  • Eine psychotherapeutische Klinik unterbindet Psychosepatienten den Kontakt
    zu den Eltern, um einen Rückfall zu vermeiden. Dies geschieht allerdings
    auf eine sehr missachtende Art und Weise, sodass die Klienten die Achtung
    für die Eltern – und das Vertrauen in die Klinik – verlieren.

 

Zusammenfassung: Wir wissen, dass es bei Psychose häufig Schuld im
System gibt, dass Psychose als unbewusste Sühne für fremde Schuld
verstanden werden kann2.
Gegenüber einem Elternteil, der sich z.B. durch Gewalttätigkeit
schuldig gemacht hat – oder selbst fremde Schuld übernommen hat,
darf, ja muss der Klient sich schützen, gerade weil er oft die Tendenz
hat , Schuld und Sühne zu übernehmen.
Der Aufstellungsleiter sollte sorgfältig die Beziehung des Klienten zu
Mutter/Vater erfassen und darf bei der ohnehin geringen Abgrenzungsfähigkeit
des Klienten eine lebensrettende Distanzierung zu seinen Eltern nicht
diffamieren oder gar aufheben. Möglicherweise besteht dann die Gefahr
einer Retraumatisierung, einer psychotischen Reaktion!? Das könnte eine
Erklärung für die von mir zitierten Beobachtungen sein.
Mir hat sich in solchen Situationen folgender Satz bewährt, der Achtung
und Schutz verbindet: Ich achte das Leben, das ich von Dir habe , indem
ich es vor Dir schütze.

Ich hoffe auf weitere „Mosaiksteine“, damit sich das Bild rundet.

Dr. med. Ernst R. Langlotz